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Inflation und Krieg

Preisschock bei Energie und Lebensmitteln bringt Haushalte in Bedrängnis

Armut

Armut

Die Menschen erleben an der Supermarktkasse zurzeit Preissteigerungen wie seit 40 Jahren nicht mehr. Dies verdeutlichen die aktuellen Zahlen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung: Die gesamtgesellschaftliche Inflation stieg im März auf über 7,3 Prozent, Lebensmittelpreise zogen erneut deutlich an.

Auch in Hessen bringen diese Entwicklungen damit immer mehr Haushalte an ihre finanziellen Grenzen. „Neben der konkreten Belastung setzt den Menschen vor allem die Unsicherheit zu“, sagt Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen, und fasst die Gemütslage vieler Ratsuchender in den diakonischen Einrichtungen zusammen. „Sie wissen nicht, wie sich die Preise zum Beispiel für Lebensmittel weiter entwickeln werden und ob Sparen oder der Griff nach Sonderangeboten in einem halben Jahr noch reichen, um die Familie durch den Monat zu bringen. Auch die Angst vor der nächsten Gas- oder Ölabrechnung nimmt zu. Viele Haushalte können Nachzahlungen von mehreren Hundert Euro am Jahresende einfach nicht stemmen.“

Armut nimmt drastisch zu

Folge der Preissteigerungen: Bestehende Ungleichheiten verschärfen sich, die Armut nimmt drastisch zu. Besonders betroffen sind Haushalte, die bereits vor den Preissteigerungen kaum finanzielle Puffer hatten: Grundsicherungsbeziehende, Rentner*innen, Erwerbslose, Geringverdienende und viele Alleinerziehenden-Haushalte. Aber auch Menschen, die bislang statistisch gesehen nicht als „arm“ galten, geraten zunehmend in Bedrängnis. „Eine Inflation um die sieben Prozent trifft zunehmend auch Haushalte, die bislang mit ihrem Einkommen noch einigermaßen gut zurechtkamen“, sagt Dr. Felix Blaser, Bereichsleiter bei der Diakonie Hessen.

Nebenkosten belasten die Menschen immens

„Diese Entwicklung können wir auch in unseren diakonischen Angeboten beobachten: Die Tafeln verzeichnen einen größeren Zulauf und in den Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe melden sich Menschen, die Angst haben, nach der nächsten Nebenkostenabrechnung ihre Mieten nicht mehr bezahlen zu können.“ Diese Beobachtungen aus der Praxis decken sich mit Ergebnissen einer Studie der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen vom März. Sie ergab, dass aufgrund der steigenden Energiepreise 600 000 Haushalte in Deutschland drohen, in die Armut abzurutschen – Haushalte, die bislang nicht unter der Armutsschwelle lagen.

Abstriche beim Heizen und der Ernährung

„Die Teuerungen spüren vor allem die Haushalte, die einen vergleichsweise hohen Anteil ihres Einkommens für die Dinge ausgeben müssen, deren Preise nun besonders stark ansteigen: Grundnahrungsmittel und Wohnenergie wie Strom, Gas oder Öl“, ergänzt Dr. Melanie Hartmann, Referentin für Armutspolitik in der Diakonie Hessen. So ließen sich auch die Befunde des aktuellen Inflationsmonitors des IMK der Hans-Böckler-Stiftung erklären, nach der die Inflation einkommensstarke Alleinstehende „nur“ mit sechs Prozent treffe, einkommensärmere Familien mit Kindern dagegen mit 7,9 Prozent belaste. Melanie Hartmann: „Die Inflation trifft alle, aber nicht alle gleich. Wir treffen immer mehr Personen bei unserer Arbeit, die sich nicht mehr trauen, die Heizung anzudrehen oder die Abstriche bei der gesunden Ernährung machen müssen.“

Entlastungen aus der Politik eher zugunsten der Wohlhabenden

„Wichtig ist nun, dass politische Unterstützungsmaßnahmen nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden“, fordert Carsten Tag. „Eine Absenkung der Energiesteuer für Kraftstoffe in Milliardenhöhe entlastet doch vor allem Vielfahrer*innen und Leute mit spritschluckenden Fahrzeugen – also tendenziell eher wohlhabendere Menschen.“ Da einkommensarme Haushalte zwar häufig ältere aber insgesamt weniger Haushaltsgeräte oder Geräte der Unterhaltungselektronik besitzen, seltener Flugreisen unternehmen oder ein großes Auto fahren, ist ihr CO2-Fußabruck in der Regel geringer als der von wohlhabenden Haushalten.

Konkrete Forderungen der Diakonie

Die Diakonie Deutschland fordert etwa die Einführung eines sozial-ökologischen Existenzminimums, in dem ein bestimmter Grundbedarf an (Wohn- und Mobilitäts-)Energie entlastet und Verbrauche darüber hinaus progressiv teurer werden. Melanie Hartmann fordert zudem: „Ein weiterer Vorschlag unserer Kolleg*innen ist, in den Sozialgesetzbüchern einen Zuschlag für soziale Notlagen festzuschreiben. Der Bundestag würde dann über eine Notlage entscheiden und die Höhe der Pauschalen für die Leistungsberechtigten festlegen. Damit müsste nicht bei jeder Krise über die Anpassung von Leistungen diskutiert werden.“ Diese Maßnahmen würden dafür sorgen, dass die Entlastungen passgenau bei jenen ankämen, die sie am dringendsten brauchen.

Bund, Land und Kommunen in der Pflicht

Außerdem sei ein Zusammenspiel aller politischer Ebenen notwendig. „Der Bund muss durch Erhöhung von Geldleistungen, Steueranpassungen, einer sozial-ökologischen Energiepolitik oder der Einführung einer Kindergrundsicherung dafür sorgen, dass armutsbetroffene Menschen mehr Geld zur Verfügung haben“, sagt Felix Blaser. „Landes- und Kommunalpolitik sind in der Pflicht, sich darum zu kümmern, dass Menschen auch mit weniger Geld ein besseres Leben führen können.“ Dazu gehörten zum Beispiel höhere Investitionen in Gemeinwesen und soziale Infrastruktur, Sicherung von bezahlbarem Wohnraum, Verbesserung von formalen und non-formalen Bildungsangeboten oder eine langfristige Vergünstigung des ÖPNV.


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