Zum Jubiläum 50 Jahre Ev. Kirchenchor Finthen: Vom Singen in der Kirche zwischen Tradition und Zukunft
Die Gründung des Kirchenchores bald nach der Fertigstellung der Evangelischen Kirche in Finthen war eine für eine evangelische Gemeinde ganz natürliche, der Tradition gemäße Reaktion auf die neuen lokalen Gegebenheiten. Holen wir aber zunächst ein wenig weiter aus: Solange die Kirche besteht, gibt es, ungeachtet der verschiedenen Konfessionen, weltweit keine christliche Gemeinde, in der nicht gesungen wird. Doch auch das Alte Testament schon stellt uns das singende Gottesvolk vor Augen. Und mit dem Psalter zumal ist uns eine universale und in ihrer Tiefe buchstäblich unauslotbare Sammlung geistlicher Gesänge geschenkt. Das sollten wir uns insbesondere als Protestanten, bei denen der gesungene Psalmvortrag weitgehend in Vergessenheit geraten ist, ins Gedächtnis rufen; denn gerade die Psalmen mit ihren die menschliche Existenz in all ihren facettenreichen Beziehungen zum Schöpfer erfassenden Inhalten geben uns Richtschnur und Maßstab für das Singen in der Kirche, das nicht als schmückendes Beiwerk, sondern als Gebet und Verkündigung in Einem, als vitale Reflexion von Glaubens- und Lebensfragen verstanden werden soll. „Wer singt, betet doppelt“ heißt es bei Augustinus, dem wichtigsten geistlichen Lehrmeister Martin Luthers.
Dass unser Chorjubiläum ins denkwürdige Jubiläumsjahr der Reformation fällt, ist ein schöner Zufall; erinnert es uns doch daran, dass mit der Reformation auch das Singen in der Kirche eine neue Dimension gewann oder zurück gewann, indem es im Wesentlichen vom Priester oder der Choralschola auf die Gemeinde überging. Die Herausbildung des Protestantischen oder Deutschen Chorals seit der Reformation als neue vokale Gattung war mit ungezählten Neuschöpfungen verbunden, darunter vielen, die es aufgrund ihrer hohen geistlichen wie intellektuellen, aber auch künstlerischen Qualität sozusagen zur „Unsterblichkeit“ gebracht haben. Und was sich auf diesem Humus an Hochkultur entwickelt hat, ist weltweit unübertroffen. Wenn man sich deshalb vor zwei Jahren besonnen hatte, namentlich die Protestantische Choraltradition zum immateriellen Weltkulturerbe zu erklären, dann hat man damit der immensen Bedeutung dieser Bewegung, die sie über die konfessionellen und geografischen Grenzen hinaus auch für die Weltkultur hat, Rechnung getragen. Das ist nichts, worauf wir uns etwas einbilden könnten. Vielmehr ist es eine Verpflichtung, dieses wertvolle Erbe, unsere ureigene Tradition zu hegen und zu pflegen. Freuen wir uns, dass wir damit den „Anderen“ etwas Wertvolles bieten können, das ihnen ungeachtet aller Andersartigkeit Orientierung sein kann, wie es u.a. bei unseren römisch-katholischen Brüdern und Schwestern nach dem 2. Vaticanum der Fall war. Und nehmen wir auch dankbar an, was sie und Gläubige aus aller Welt uns aus ihrer Tradition zu bieten haben – nicht weil es schick wäre, sich mit Fremdem oder gar Exotischem zu schmücken, sondern um daran zu wachsen.
Und nun gibt es doch noch etwas, worauf wir uns als Chor der Evangelischen Kirche in Finthen etwas zugute halten können: Das sind die Verbindungen zum katholischen Chor und zur katholischen Gemeinde vor Ort, womit man – auf beiden Seiten - vor 50 Jahren noch deutlich seiner Zeit voraus war. Von Anfang an war in diesem Chor der Geist der Ökumene lebendig. Und so soll es bleiben.
(von Lutz Dreyer)
Kurz-Chronik
Ein kurzer Überblick über 50 Jahre Kirchenchor | |
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1967 | Am Erntedankfest erklingt zum ersten Male der Chor von einigen engagierten Gemeindemitgliedern unter Leitung von Herrn Martin Munk. Den Gottesdienst in der evangelischen Kirche hält Pfarrer Reinhard Walter. |
1971 | Mit einem gemeinsamen Liederabend in unserer Kirche beginnt eine dauerhaft gute Zusammenarbeit mit dem katholischen Kirchenchor Finthen. Sie wird durch viele gemeinsame Auftritte bei festlichen Anlässen, ökumenischen Gottesdiensten und Veranstaltungen gefestigt und auch in vielen persönlichen Verbindungen gepflegt. |
1974 | Alle Chöre des Dekanats Mainz singen in der Christuskirche Mainz. In dieser „Stunde der Kirchenmusik“ werden sogar doppelchörige Stücke aufgeführt. Spenden werden für die Brüder und Schwestern der DDR und Diasporagemeinden außerhalb Deutschlands gesammelt. An weiteren Bezirks- und Landeskirchen-Gesangstagen beteiligt sich der Chor. |
1986 | Offizielle Verabschiedung von Herrn Munk als Chorleiter. Herr Uwe Deller übernimmt den Chor Ende November. |
1987 | zum 20-jährigen Bestehen des Chors findet in einer musikalischen Feststunde zum zweiten Advent ein Konzert mit Solisten statt. Unter der Gesamtleitung von Uwe Deller musizieren der katholische und evangelische Kirchenchor. Dabei werden Worte des Danks an Herrn Munk für seine 19-jährige Chorleitertätigkeit gerichtet. |
1991 | Herr Professor Lutz Dreyer übernimmt die Leitung des Chors. Anspruchsvolle Werke werden in den folgenden Jahren eingeübt und erfolgreich aufgeführt. Werke von hohem Niveau werden auch zusammen mit dem katholischen Kirchchor gesungen: Pärt: Johannes- Passion und Pergolesi: Stabat Mater. |
1997 | Zum 30. Chorjubiläum erklingen das „Te Deum in C“ von Benjamin Britten und die Kantate „Alles was ihr tut mit Worten oder Werken mit Worten oder Werken" von Buxtehude. Ein Gemeinschaftskonzert mit dem St. Mary´s Choir Sanderstead erfreut die Gemeinden sowohl in Finthen wie auch in England. |
2008 | Bei der feierlichen Einweihung des Bonhoeffer-Gemeindehauses findet auch die Verabschiedung von Herrn Dreyer als Chorleiter statt. Seine große Leistung, den Chor an anspruchsvolle musikalische Werke heranzuführen, wird ebenso geschätzt wie seine glückliche Wahl des Nachfolgers Herrn Georg Scholz. Schnell schließen sich viele junge Menschen dem Chor an. |
2016 | Beim Kirchweih-Jubiläum 60 Jahre Evangelische Kirche Finthen werden Werke von Bach, Vivaldi, Mozart und Mendelssohn Bartholdy im Rahmen des Festprogramms vom Chor gesungen. |
2017 | Mit dem Requiem von Fauré mit Chor, Solisten, Streichern, Bläsern, Orgel und Harfe erlebt die Gemeinde einen außergewöhnlichen Gottesdienst am Karsamstag. Das 50-jährige Chorjubiläum wird am 1. Advent mit der Messe brève no.7 von Charles Gounod gemeinsam mit dem katholischen Chor gefeiert. |
(von Doris Schaumann)
Die ausführliche Chronik finden Sie in der Jubiläumsbroschüre.